Die Geschichte der KLEINE-Orgel in der Rönsahler Servatiuskirche


von Holger Scheel


Die Geschichte der historischen KLEINE-Orgel in der Rönsahler Servatiuskirche beginnt eigentlich 1786. Denn in diesem Jahr wurde die von den Gebrüdern Johann Christian und Johann Gerhard Kleine aus dem Örtchen Freckhausen (heute Gemeinde Reichshof) errichtet. Dennoch hat auch dieses Datum einen Vorläufer, nämlich den großen Dorfbrand vom Oktober 1766. Ohne diesen wäre vermutlich das heute von Orgelbaumeister Hubert Fasen restaurierte und wieder in seinen ursprünglichen Zustand versetzte Instrument nie gebaut worden. Die Rönsahler Kirche – also der Vorgängerbau der heutigen Servatiuskirche – besaß nämlich schon seit 1652 eine Orgel, die, nachdem sie von marodierenden französischen Soldaten 1679 zerstört wurde, seit 1681 wieder bespielbar war.1


Als nun aber im Jahr 1766 neben zahlreichen Häusern auch die Dorfkirche den Flammen zum Opfer fiel, war es natürlich auch um dieses Instrument geschehen. Vom Kirchengebäude blieben gerade einmal die Mauern des Kirchturmes stehen. Dennoch schaffte es die Evangelische Kirchengemeinde Rönsahl, allerdings nicht ohne erhebliche finanzielle Beiträge der Gemeindeglieder, in gut zwei Jahren Bauzeit die heutige Servatiuskirche zu errichten.


Gerade einmal 18 Jahre hat es gedauert, bis dann in der neu erbauten Kirche auch wieder eine Orgel über Altar und Kanzel thronte. Diese Zeitspanne mag nicht besonders kurz erscheinen, es darf aber nicht vergessen werden, dass der Bau einer Orgel mit erheblichen Kosten, vergleichbar der Errichtung eines Hauses, verbunden ist. Für die Kirchengemeinde Rönsahl bedeutet dies, dass innerhalb nicht einmal einer Generation neben dem Kirchenbau ein zweites Großprojekt realisiert werden konnte. Zwar hat die Kirchengemeinde Rönsahl eine finanzielle Zuwendung seitens der Nachbargemeinde Kierspe erhalten, wie aus einem Dankschreiben des Presbyteriums an die Kiersper Gemeinde hervorgeht.2 Stellt man jedoch in Betracht, dass die Finanzierung mit großer Wahrscheinlichkeit überwiegend durch die Gemeindeglieder erfolgen musste, die kaum zwei Jahrzehnte zuvor größtenteils auch ihre Privathäuser beim großen Dorfbrand verloren hatten, vermag man zu erahnen, welchen Kraftakt der Bau der Orgel für die kleine Kirchengemeinde unmittelbar an der Grenze zum Herzogtum Berg bedeutete. Verschärft wurde die Situation zudem dadurch, dass sich die bis dahin zum Kirchspiel Rönsahl zählenden Einwohner des benachbarten Herzogtums Berg nicht an den Kosten des Kirchenneubaus beteiligten und mit dem Bau einer evangelischen Kirche in Wipperfürth 1793 ganz aus dem Gemeindeverband ausschieden.3


1786 – für viele Menschen heute ein Datum in grauer Vorzeit, ohne konkreten Bezug zu unseren Tagen. Vergangenheit eben. Doch was war das für eine Zeit? Was war damals aktuell? Was bestimmte das Geschehen in unserer Welt? Die Vereinigten Staaten von Amerika standen kurz vor ihrer Gründung (1788), nachdem sich die dreizehn englischen Kolonien 1776 für unabhängig erklärt hatten. In Frankreich regiert noch König Louis XVI, die Revolution, die auch das Machtgefüge in Europa erheblich beeinflussen wird, findet erst 1789 statt. In Österreich erfreut sich Wolfgang Amadeus Mozart mutmaßlich bester Gesundheit – zumindest lebt er noch (bis 1791). Und Napoleon Bonaparte, dessen Politik sich auch nachhaltig auf unsere Region auswirkte, war gerade mal ein Teenager.


Die Rönsahler Orgel ist dabei nicht nur wegen ihres respektablen Alters eine Besonderheit. Zwar gehörte die Orgelbauerfamilie Kleine durchaus zur hiesigen Orgellandschaft, denn im bergisch-märkischen Raum gab es manche Instrumente, die ihre Handschrift tragen. Gummersbach, Drolshagen und Lennep seien nur einige Beispiele für den Schaffensreichtum der Brüder. Leider existieren von zahlreichen Orgeln nur noch die Gehäuse und der Prospekt, das „Innenleben“, also die eigentliche Orgel, stammt von anderen Orgelbauern neueren Datums. Neben der 1795 gebauten Kleine-Orgel in der evangelischen Kirche von Eckenhagen ist das Rönsahler Instrument das einzige, von dem noch ein nennenswerter Bestand existiert. Somit ist die Rönsahler Orgel das älteste noch spielbare Exemplar der Gebrüder Kleine überhaupt. Dass die Wahl des Presbyteriums dabei aber überhaupt auf die Gebrüder Kleine fiel, war durchaus nicht selbstverständlich. So hat die Synode in Hagen der Rönsahler Gemeinde den Orgelbauer Schrage empfohlen, dem „als ein preußischer Untertan … die Arbeit an Orgeln vor anderen Ausländern (sic!) zu gönnen [sei]“.4 Die Entscheidung zugunsten der Oberberger Kleine dokumentiert damit auch die guten Beziehungen, die Rönsahl seit jeher auch jenseits der Grenze gepflegt hat.


Auch wenn die Orgel seitdem in ihrer Geschichte manche Erweiterung und Veränderung erfahren hat, ein nicht unwesentlicher Teil ihrer Substanz lässt sich auf das Erbaujahr 1786 zurückführen.5 In seiner ursprünglichen Substanz weist das Instrument ein Manual mit angehängtem Pedal auf. Angehängtes Pedal bedeutet, dass das Pedal keine eigenen Pfeifen besaß, sondern die des Manuals mitnutzte. Bei der Registrierung fällt auf, dass das Instrument 11 Register besaß, weitere zwei Schleifen jedoch vakant waren. Dies lässt darauf schließen, dass aus Kostengründen erst ein Teil der Orgel gebaut wurde, während weitere Register dann bei Bedarf oder passender Kassenlage ergänzt werden konnten.6 Zu den Registern, die sowohl damals wie beim Ausbau der Orgel 2010 vorhanden waren, zählten beispielsweise Pricipal 8’, Octave 4’, Bordun 16’ oder Gedackt 8’. Andere wiederum wie Vox humana 8’, Sesquialter 3’ oder Flaut d’amour 8’ fehlten später. Übrigens: Laufende Reparaturarbeiten waren damals vom Küster durchzuführen!


Die erste größere Erweiterung der Orgel fand dann gut 100 Jahre später statt. Die Firma Ibach (Wuppertal) baute 1892 auf die vakanten Schleifen zwei weitere Register ein. Ebenso wurden die alten Keilbälge durch Magazinbälge ersetzt. Nachdem im ersten Weltkrieg die Prospektpfeifen aus Zink abgeliefert werden mussten, wurde diese dann 1928 von Peter Faust durch kostengünstigere Zinnpfeifen ersetzt. Beide Ergänzungen beließen jedoch die Orgel weitgehend in ihrer ursprünglichen Substanz.


Weitgehende Veränderungen erfuhr das Instrument jedoch nach 1958, als es von der Firma Koch nicht nur erweitert, sondern auch in seinem Kernbestand erheblich verändert wurde. Entgegen der ursprünglichen Planung Kleines wurde nun ein weiteres Manual, das sogenannte Unterwerk errichtet sowie ein eigenständiges Pedal, also mit eigenen Pfeifen, geschaffen. Die Problematik hierbei war jedoch nicht nur, dass zwei völlig unterschiedliche Pfeifenbestände errichtet wurden, in diesem Zusammenhang war bildlich von einer Kutsche und einem Sportwagen die Rede, sondern durch Umsetzen von Pfeifen es zu einer Durchmischung des alten mit dem neuen Bestand kam.7


Der Denkmalschutz steht generell immer vor einem Dilemma: Soll etwas möglichst originalgetreu wiederhergestellt werden oder doch eher den heutigen Möglichkeiten und Erfordernissen angepasst werden? Die Lösung liegt wohl in der goldenen Mitte. So hat auch die Evangelische Kirchengemeinde Rönsahl mit der jetzt abgeschlossenen Restaurierung der historischen Kleine-Orgel einen guten Kompromiss gewählt: Rückführung auf ein Manual, aber Beibehaltung eines selbstständigen Pedals. Und sie bekommt damit eine alte, aber wieder quicklebendige Orgel. Den Menschen zur Freude, Gott zur Ehre.



1 Reuter, Rudolf: Orgeln in Westfalen, Kassel 1965, S.7

2 Reuter, Rudolf, a.a.O., S.8

3 Griesing, Herbert: 400 Jahre evangelische Kirchengemeinde Rönsahl. Festschrift zum 400. Reformationsjubiläum der Gemeinde am 30. und 31. Oktober 1960, Erscheinungsort unbekannt, S.8

4 Göbell, W.: Die ev.-luth. Kirche in der Grafschaft Mark, Bethel 1961, zitiert nach Reuter, R.: Orgeln in Westfalen, Kassel 1965, S.8

5 Kreinbrink, Joachim: Angebot zur Restaurierung der Kleine-Orgel. Schreiben an die Kirchengmeinde Rönsahl vom 16.03.1992

6 Schlepphorst, Winfried: Gutachten über die Kleine-Orgel. Schreiben an das Kreiskirchenamt Lüdenscheid vom 21.11.1988

7 Pumpa, Andreas: Gutachten über die Kleine-Orgel. Schreiben an die Kirchengemeinde Rönsahl vom 06.03.2006